„Bloß weil etwas oder jemand nicht perfekt ist, bedeutet das nicht, dass etwas oder jemand nicht perfekt für dich ist.“
Suche nicht den „Fehler oder das Unvollkommene“, sondern sehe die Seele und das Wahrhaftige.
Was seht ihr, wenn ihr euch das Foto von Wolke aus der schützenden Hand anschaut? Ich sehe eine sehr energetische, freche, unbekümmerte, mutige und äußerst ungeduldige heranwachsende Persönlichkeit. Da gibt es jedoch etwas, was ich bisher „geheim “ gehalten habe.
Wolke ist auf dem rechten Auge erblindet.
Als sie 2017 als 2-jährige Jungstute zu mir kam war noch alles in Ordnung. Nur 2 Monate später entwickelte sich eine beidseitige Augenentzündung. Das linke Auge hat sich Gott sei Dank vollständig regeneriert. Das rechte Auge hat das leider nicht getan. Diese Zeit war eine ganz schreckliche Zeit für mich. Jeden Tag hatte ich Angst in die Augen von Wolke zu sehen. Ich hatte Angst, daß sie komplett ihr Augenlicht verliert. Es war wirklich ganz, ganz fürchterlich für mich.
Ihr Züchter hat mir angeboten Wolke zurück zu nehmen und mir ein anderes Pferd bei ihm auszusuchen. Ich habe darüber nicht mal einen Tag nachdenken müssen. Obwohl sie erst seit 2 Monaten bei mir war, wusste ich ganz genau, dass Wolke mein Pferd ist. Entgegen jeder Vernunft, jedoch mit jeder Menge Liebe für Wolke, habe ich mich entschlossen, den Weg mit ihr zu gehen, wohin er uns auch führen wird.
Wolke ist eine Herausforderung für mich.
Dabei spielt ihre Erblindung auf dem rechten Auge überhaupt keine Rolle. Natürlich muss ich im Training und Umgang ein wenig auf ihr Handicap eingehen. So lehre ich sie zum Beispiel Stimmkommandos, die über das „normale“ Maß hinaus gehen. Das mache ich, um im Falle einer Verschlechterung ihrer Sehkraft zusätzliche Möglichkeiten der Kommunikation zu haben. In der Freiarbeit oder Longenarbeit arbeite ich normalerweise viel mit Körpersprache. Das ist bei Wolke nur links herum möglich. Rechts herum reagiert sie auf Stimmkommandos.
So, jetzt bin ich total vom Thema abgekommen. Es soll hier gar nicht um Wolkes Ausbildung gehen, sondern darum was wir sehen oder zu sehen glauben und wo und wie wir unseren Fokus setzen. Viele Menschen sehen Wolke und das erste was sie sagen ist:“ Was hat die denn mit dem Auge?“
Die wenigsten sagen zuerst:“ Hallo Wolke, schön dich mal kennen zu lernen!“
Vor ein paar Tagen hat Sabine Oettel – Authentische Reitkunst ein Video ihrer Stute gepostet in dem sie ganz wertfrei das rausoperiert Auge ihres Pferdes zeigte, mit der großen Dankbarkeit, dass es ihrem Pferd nun deutlich besser gehe. Dieses Video hat etwas mit mir gemacht. Das erste was ich gedacht habe war: „Oh, die ist aber ehrlich, mutig und uneitel!“ Weil sie sich getraut hat, etwas zu zeigen, was nicht „perfekt“ ist. Da habe ich mich gefragt, warum habe ich das noch nie gemacht? Hmm, zuerst habe ich es nicht „öffentlich“ gemacht, weil ich selber noch nicht damit im Reinen war. Ich habe noch ein Stück weit getrauert darüber, dass Wolke nicht mehr mit beiden Augen sehen kann. Dann kam die Phase, in der wollte ich dem Handicap keinen Focus schenken. Ich wollte keine negative Energie Richtung Augen schicken. Tatsächlich ist es auch so, dass weder Wolke noch ich mittlerweile ein Problem damit haben.
Das ich es also weiterhin nicht gezeigt habe, ist dann vermutlich meinem Ego geschuldet.
Das rechte Auge ist verkleinert und sieht natürlich nicht mehr so schön aus, wie ihr linkes Auge. Also habe ich sie nur von links gezeigt. Puh, mir das selber einzugestehen war auch nicht ganz einfach. Da bin ich heimlich und von mir selber fast unbemerkt in ein altes Muster gerutscht.
Das Muster, sich über sein Pferd profilieren zu wollen.
Das ist leider die Ursache für viele unschöne Dinge, die so mit Pferden gemacht werden. Ich freue mich , dass ich das jetzt erkennen konnte und nun noch entspannter mit Wolke und allem was Wolke ausmacht, umgehen kann.
Wichtig ist zu wissen, dass wir mehr sind als das, was wir äußerlich darstellen (wollen).
Das Wahrhaftige ist nicht unbedingt ganz offensichtlich. Da muß man schon genauer hinsehen oder hinhören. Lasst Euch nicht täuschen von schönen Worten und Bildern. Über die Taten und das Handeln eines Menschen erkennt man am Besten dessen wahres Wesen.